Entgegen landläufiger Meinung ist die Bezeichnung „Mumme“ nicht auf einen Braunschweiger Bürger Christian Mumme zurückzuführen. Begünstigt durch das 1736 erschienene Werk De Mumia Brunsvicensium des in Wolfenbüttel tätigen Arztes Franz Ernst Brückmann, entstanden zahlreiche Legenden um dieses alte Getränk, die teilweise noch kolportiert werden. Nach Brückmann soll besagter Christian Mumme, angeblich Bierbrauer in Braunschweig, die Rezeptur des Getränkes entweder um 1492 oder 1498 verbessert haben. Zu dieser Zeit soll die Wirkung dieses Starkbiers, dem zahlreiche Gewürze beigemischt wurden, im wahrsten Sinn des Wortes „umwerfend“ gewesen sein.
Legendenbildung
Brückmanns Veröffentlichung förderte die bereits seit Jahrhunderten vorhandenen Geschichten und Legenden um die Braunschweiger Mumme, deren Bekanntheitsgrad weit über die Stadtgrenzen hinausging und deren Bedeutung für die Wirtschaft Braunschweigs in der frühen Neuzeit groß war, folglich verdrängten diese Geschichten vorrangig die Tatsachen. Und Brückmanns Buch hat dazu beigetragen, die Braunschweiger Mumme folkloristisch zu verklären. Unterstützt wurde er vom Kupferstecher A. Beck, der ab 1742 entsprechendes Bildmaterial zur Illustration beisteuerte. Brückmanns Mumme-Geschichten und Becks Bilder fanden in der Folge Eingang in das kollektive Bewusstsein der Bevölkerung und wurden schließlich von nachfolgenden Generationen als historische Tatsachen angesehen. Erst 1911 gelang es dem Braunschweiger Historiker und Direktor des Städtischen Museums, Heinrich Mack, in seinem Werk Zur Geschichte der Mumme. Insbesondere des Mummehandels im 17. Jahrhundert nachzuweisen, dass es sich bei einem Großteil der tradierten Geschichten tatsächlich um Legenden handelte, wie bezüglich der Person des Christian Mumme, den Erzählungen über dessen Haus, über das Mumme-Kind sowie die Mumme-Probe.
Haus des Christian Mumme
Laut Brückmann soll Christian Mumme sein Bier in dem mit 1463 datierten und bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg tatsächlich vorhandenen Fachwerkhaus am Alten Petritore 2 gebraut haben. Als Beleg für die Authentizität diente eine Illustration, wie die noch vorhandene geschnitzte Holzfigur eines Mannes mit einem Passglas, die am Haus befestigt war. Mack gelang es anhand historischer Dokumente zweifelsfrei nachzuweisen, dass nicht einmal der Familienname Mumme für dieses Haus belegt ist.
Christian Mumme wurde in Braunschweig niemals urkundlich erwähnt. Dass er der Erfinder des nach ihm benannten Getränks gewesen sein soll, erscheint insofern verwunderlich, als dieses Getränk der Exportschlager des mittelalterlichen Braunschweigs war. Hätte dieser Christian Mumme wirklich existiert und das Getränk erfunden, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit in den Annalen der Stadt verzeichnet worden. Ein weiteres Indiz für die Existenz des Bieres vor 1492 stammt aus dem Jahre 1425, als der Hessische Landgraf bei einem Besuch in Braunschweig zwei Fässer Mumme verzehrt haben soll.
Mumme-Kind
Ein weiteres Beispiel für eine Fiktion ist das so genannte „Mumme-Kind“. Ein Kupferstich Becks stellt das Kind als einen extrem übergewichtigen jungen Mann dar, der an seiner Vorliebe für Mumme gestorben sein soll. Er hätte sich im wahrsten Sinn des Wortes zu Tode getrunken. Die Bildunterschrift lautete: „Abbildung eines Maltz-Kärners in Braunschweig, dem die Mumme so ungemein wohl geschmecket, daß er darinne sich so dicke, ja, gar zu Tode gesoffen, seines Alters 30 Jahr, an dem Gewicht hat er gewogen drey und einen halben Centner.“ ()
Mumme-Probe
Eher unter die Anekdoten fällt die Mumme-Probe, die auch für andere Biere als Legende besteht. Süße und Zähflüssigkeit der Braunschweiger Mumme waren ihr Qualitätsmerkmal, weshalb es der Maßstab für die Güte der Mumme und damit für ihre Rezeptur sein sollte. Man ging dabei wie folgt vor: Auf einen Stuhl oder Schemel wurde ein wenig Mumme gegossen und verstrichen. Anschließend musste sich jemand darauf setzen und sofort wieder aufstehen. Klebte die Sitzgelegenheit nun an seinem Gesäß, war die Mumme-Qualität einwandfrei.
Rechnung von 1390
Mack stieß bei seinen Recherchen zum Ursprung des Getränks auf eine Rechnung der Stadt Braunschweig für das Fest ihres Schutzpatrons St. Au(c)tor aus dem Jahre 1390. Diese Rechnung war für „mumm“ ausgestellt. So ist es mehr als zweifelhaft, dass sich „Mumme“ wirklich von dem Namen eines Christian Mumme herleitete, denn die Rechnung entstand 102 Jahre vor dessen angeblicher Rezepturverbesserung. Darüber hinaus deutet eine „Verbesserung“ darauf hin, dass schon vorher „etwas“ von minderer Qualität vorhanden gewesen sein muss. Auch die Jahreszahlen 1492 und 1498 dürften sich eher an historischen Ereignissen, wie der Entdeckung Amerikas (1492) oder der Entdeckung des Seewegs nach Indien (1498) orientiert und somit ebenfalls zur Legendenbildung beigetragen haben.
Mumme als Gattungsbezeichnung
Mack wies weiterhin nach, dass die Bezeichnung „Mumme“ in Braunschweig zunächst eine Art Allgemeinbezeichnung für „dunkles Bier“ war, im Gegensatz zu der Bezeichnung „Weißbier“ für ein Bier hellerer Farbe. Auch wurden in Braunschweig bereits früh fünf verschiedene Mumme-Sorten gebraut, denen allen ihre dunkelbraune Färbung durch starken Malzgehalt sowie die Dickflüssigkeit gemein waren. In einem Edikt von 1571 wird „Mumme“ synonym zu Rotbier verwendet und ausdrücklich von hellem Bier unterschieden.
Rezeptur
Aufgrund ihrer vielhundertjährigen Geschichte, der verschiedenen Brau- und Zubereitungsarten sowie der verschiedenen Brauer ist es unmöglich, eine allgemeingültige Rezeptur oder Zusammensetzung anzugeben. Grundzutaten waren auf jeden Fall Gerste, Hopfen und Weizen in unterschiedlicher Menge, wobei genauere Angaben nicht möglich sind.
Krünitz’ Oeconomische Encyclopädie zählt 1773 unter Verweis auf weitere Quellen und in Abhängigkeit von der Zubereitungsphase, wie der Gärung oder auch dem Sieden folgende angebliche Bestandteile auf: Bohnen, Rinde, Spitzen von Tannen und Birken, Cardobenedictenkraut, Blüten von Sonnentau, Holunder und Thymian, Pimpinelle, Betonien, Majoran, Polei, Kardamom, Hagebutten, Alant, Gewürznelken, Zimt und sogar Eier. Zur Erzielung der dunkelroten bis -braunen Färbung soll auch Kirschsaft zugesetzt worden sein.
Der Wahrheitsgehalt dieser Angaben muss allerdings angezweifelt werden, da einige Bestandteile auch als Gerüchte verbreitet wurden, um den Ruf der Braunschweiger Mumme und damit ihren Absatz zu schädigen.