Abschlussbericht: 18. Internationaler Süßwaren-Kongress in Berlin mit mehr als 500 Teilnehmern

08.12.2017 - Deutschland
  • Kompakt, konsequent und manchmal auch konträr: Rund um das zentrale Thema „Süßwaren im Spannungsfeld der Generationen“ entwirft der SG-Kongress 2017 ein stringentes und spannendes Themenpanorama für die süße Branche
  • Vom US-Datenanalyse-Experten und „Trump-Macher“ Richard Robinson über die erfolgreichste deutsche Food-YouTuberin Sally bis hin zum Handelsspezialisten Frank Rehme, der ganz auf Emotion setzt, und Martin Wild von der MediaMarktSaturn Retail Group, der die Roboter am Point of Sale freundlich arbeiten lässt
  • 12 hochkarätige Fachvorträge zu den Themenbereichen: „Revolutionäres im Marketing“, „Menschlichkeit und Erfolg im Business“ und „Online und offline Hand in Hand im Handel“

Was gehört zum Optimum einer Fachtagung? Etwa Top-Referenten, die sich nicht wiederholen und nicht am Auditorium vorbeireden oder gar langweilen, die ihr Wissen und ihre Meinungsagenda im ureigenen Stil vortragen, informativ, unterhaltsam, praktisch und verständlich pointiert, die sich alle an einem zentralen Themenfaden ori-entieren und dennoch individuell, programmatisch und in ihren Einstellungen und Er-fahrungen manchmal  gar konträr sind. Ganz wichtig ist auch, dass sie die thematische Glut, Kernaussagen und Aha-Effekte, noch „warm“, manchmal auch „heiß“ an den und die nächsten Referenten weiterreichen. Persönliche Kernkompetenz in einer sich verstärken-den Tatsachen- und Thesenkette, perfektes Infotainment also, hochbrisante Fakten in der Balance mit auch unterhaltsamen Atempausen, unterscheidbar, aber im Ganzen homogen. Punkt für Punkt – geradeaus zum 360-Grad-Panorama, aus dem alle und jeder für sich seine persönlichen Entscheidungs- und Handlungsmaxime ziehen kann und/oder muss. Alle diese Pflicht- und Kür-Werte erfüllte der SG-Kongress 2017 zu 100 Prozent. In der Analogie zum zentralen Tagungsthema, das natürlich immer wieder um die Digitalisierung schwirrte, auch als Kernschnitt zwischen den Generationen, gab es ihn nicht, aber es hätte ihn geben können: den kollektiven Like-Button als Schlussbild im Applaus der über 500 Kongressgäste.

Das Kongress-Forum im Berliner The Ritz-Carlton-Hotel war mit mehr als 500 Tagungsgästen aus der nationalen und internationalen Süßwarenwirtschaft bis auf den letzten Platz gefüllt, der 18. Internationale Süßwarenkongress des Süßwarenhandelsverbandes SWEETS GLOBAL NETWORK war erneut komplett ausgebucht. Zwei Tage lang gab es ein volles und fulminantes Programm zum Kernthema „Süßwaren im Spannungsfeld der Generationen“ für die Top-Entscheider aus den Bereichen Industrie, Handel und Zulieferer. Im Mittelpunkt standen insgesamt 12 Experten, die zu den kompakten Themenblöcken „Revolutionäres im Marketing“, „Menschlichkeit und Erfolg im Business“ sowie „Online und offline Hand in Hand im Handel“ vortrugen. Die einzelnen Themencluster wurden von den SG-Vorstands-mitgliedern Dr. Alwin Scholze, Hans Strohmaier und Andreas Nickenig moderiert.

Den Startschuss lieferte Dr. Uwe Lebok, Vorstand der K&A BrandResearch AG. Lebok markierte anschaulich, wie deutlich sich die Lebensstile, Verhaltensmuster, Werte und Befindlichkeiten in den vergangenen 40 Jahren verändert haben. Die Tischdecke, der Sonntagsbraten, die Überschaubarkeit des Alltags, manches Brauchtum – alles nun von gestern, alles eben vergessene Kategorien. Die Generation YZ, also die erste und zweite Generation der Digital Natives, würde heute eher nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip leben: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Die sogenannten Millennials hätten eigentlich nur zwei grundlegende Fragen und Ansprüche: „Why?“ und „What‘s in for me?“. Prägend sei vor allem nun ein Leben, Tun und Entscheiden im digitalen Raum, das auch im Produktmarketing und in den werblichen, medialen Mitteln ganz neue Konzepte verlange. Gerade der demografische Wandel, wesentlich auch geprägt durch die Immigration, verändere die Gesellschaft erheblich. Seine These: Die einfache, plakative oder belehrende Werbung ist vorbei, Storytelling ist die Gegenwart und Zukunft. Die unbegrenzten Möglichkeiten im Internet und die Option, sich ständig aufs Neue vernetzen zu können, würden zudem die klassische Marken-Relevanz schwächen.

Bestes Beispiel für eine typische Millennial-Frau ist Salika Özcan, 29 Jahre jung, Mutter, studierte Grundschullehrerin, die ihre Liebe zum Backen zum digitalen Job gemacht hat. Ihren eigentlichen Beruf hat sie an den Nagel gehängt und gegen die mediale Backrolle ausgetauscht: Özcan ist mit ihrem YouTube-Kanal „Sallys Tortenwelt“ Deutschlands erfolgreichste Food-YouTuberin und in der Szene ein absoluter Star. Mit ihrem Mann Murat hat sie in den vergangenen Jahren aus dem anfänglich eher amateurhaften, häuslichen Backstudio ein mittelgroßes Familienunternehmen mit derzeit rund 30 MitarbeiterInnen entwickelt, inklusive Online-Shop und der ersten eigenen TV-Sendung in VOX. Mit 1,2 Millionen Abonnenten, bisher über 250 Mio. Aufrufen insgesamt und 12 Mio. Klicks im Monat ist Sally überaus beliebt und längst zur Marke gerade bei der Gen XY geworden.

Digitales Neuland, aber nicht ausschließlich, ist ebenfalls der thematische Hintergrund und Vortragstenor von Jean-Remy von Matt (Werbeagentur Jung von Matt). Im Spannungsfeld der neuen Medienformen präsentierte er aktuelle Cross-Media-Konzepte aus seiner Ideen-schmiede, die vor allem auf den Imperativ der Emotionalität setzen, manchmal noch klassisch in Form von Plakaten oder TV-Clips, aber auch im interaktiven Raum von Social Media und Apps agierend. Grundsätzlich gelte: Die Inhalt müsse nützlich sein und/oder unterhaltsam, alles andere wäre falsch. Zudem auch: Die Formen der klassischen Werbung, die in die Breite zielen, also nicht extrem individualisiert und personalisiert gestaltet seien, wären keineswegs tot.

Ganz anderer Meinung war diesbezüglich Richard Robinson. Sein Unternehmen Cambridge Analytica (CA), für das er seit Mitte 2017 als kaufmännischer Leiter in Europa tätig ist, hat gerade im Herbst 2016 in den USA, aber auch weltweit, für erhebliches Aufsehen und auch für harsche Kritik gesorgt: Denn der IT-Spezialist, der seit 2012 im Bereich der Datenanalyse und Psychometrik tätig ist, gilt als tatsächlicher oder selbsternannter Trump-Macher. CA gehörte zum Wahlkampfteam von Donald Trump und hat zum letzten US-Wahlkampf massenhaft neue Mittel einer individualisierten Polit-Kampagne eingesetzt – dies auf der Grundlage äußerst komplexer Daten-, Verhaltens- und Entscheidungsinformationen über die Amerikaner. Heißt: Die politischen Botschaften wurden personalisiert, also punktgenau auf das Persönlichkeitsbild der WählerInnen abgestimmt und optimiert. CA nennt diese Methode „vorhersagende Modellierung“. Und behauptet: Nur wer die richtigen Daten zur richtigen Zeit hat, der gewinnt auch. Wesentlich bietet die Firma ihr Analyse- und Formelverfahren im Bereich der Konsumentenwerbung an, aber eben auch im politischen und lobbyistischen Bereich. In Sachen Produktwerbung und Marketing stellte Robinson einige aktuelle Projekte vor und betonte seine These, dass klassische Massenwerbung, also etwa ein Plakat für alle, heute nicht mehr wirke: „Data drives all we do“. Heißt auch: Nicht mehr eine Botschaft für eine Million Wähler oder Konsumenten, sondern eine Million Botschaften für eine Million Adressaten.

Im Gegensatz dazu kam Prof. Dr. Josef Radermacher (Universität Ulm) bei seinem Referat ohne jedes digitale Hilfsmittel aus. Er benötigte nicht einmal eine Power-Point-Präsentation, sondern setzte auf die Kraft des Wortes, auf klares Denken und eine prinzipielle Einstellung, eben auf Leitstruktur und Leitgedanken. Seine Key-Note lautete „Unternehmens- und Führungskultur im digitalen Zeitalter“. In Zeiten einer soft-wattierten Gesellschaft und einem software-getriebenen Arbeitsumfeld sei der Kerncharakter der Führung heute wichtiger denn je: „Tun ist ein knappes Gut, auch und gerade für Führungskräfte. Konzentrieren sie sich auf das Wesentliche, noch mehr Tools sind keine Lösung. Gute Führung im Unternehmen ist kein Algorithmus, also keine Folge von Einsen und Nullen.“

Ganz nah am Puls des Digitalen, des Internets und vor allem der IT-Sicherheit ist Gunnar Porada, Gründer und Geschäftsführer der InnoSec GmbH. Porada ist vor allem wegen seiner „Live-Hacking“-Aktionen bekannt geworden, die er auch in Berlin dem verblüfften Publikum vorführte. Sein Intro dazu war kurz und eindeutig: „Heute werden alle angegriffen, auch ihre Unternehmen. Manchmal geht es auch nur um den Test von digitalen Waffensystemen durch Staaten, die dann ein beliebiges Wirtschaftsunternehmen lahmlegen. IT-Security ist ein zentrales Thema, muss also Chefsache sein.“ Dann ging es auch schon los: In Minutenschnelle loggt sich Porada in die Spendenseite der CDU ein und überweist einen Millionenbetrag an die FDP. Dann gibt er allerdings zu, dass er eine Fake-Seite erstellt hat, die über eine installierte App die Originalseite infizierte. Der Kunde oder Spender merkt davon nichts, da er ja die offizielle Seite angeklickt hat. Dann kommt es noch schlimmer: Porada zeigte auf, wie einfach es eigentlich ist, mit gefälschten Web-Zertifikaten scheinbar offizielle Webseiten zu erstellen. Smartphones beurteilte er kritisch: „Es ist nicht ihr Telefon; es ist eine Wanze.“ So nebenbei fängt er dann Tan-Nummern von Handys ab und überlistet Fingerabdruck-Scanner.  

Abseits von digitaler Veränderung, Zukunftsängsten und Fragezeichen setzte Harm Humburg (Ferrero Deutschland) auf die Urkraft der Süßware an sich und zudem auf Fakten und positive Einstellungen: „Lassen sie sich nicht verrückt machen. Wenn ein Segment auch weiterhin große Potenziale hat, dann sind es Süßwaren. Nach Fleisch in der Bedienungstheke erzielen Süßwaren im Handel den zweithöchsten Rohertrag pro Quadratmeter. 99,5 Prozent der deutschen Haushalte kaufen und lieben Süßwaren. Das sollten wir zelebrieren“, appellierte der erfahrene und erfolgreiche Vertriebsmann an seine Kollegen im Auditorium. Er fügte hinzu: „Schauen sie sich die vorbildliche Entwicklung im Handel, die Aufwertung des Segments und die tollen Präsentationen an. Wenn ich nicht sowieso schon in der süßen Branche tätig geworden wäre, dann würde ich jetzt ein Süßwarenunternehmen gründen.“

Wohin der Einsatz von Robotern im Handel führen kann und wohl auch wird, erläuterte Martin Wild (MediaMarktSaturn Retail Group). Die Digitalisierung am Point of Sale ist beim Elektronik-Riesen keine Zukunftsmusik mehr. Jetzt schon begrüßen und begleiten Roboter in einigen Filialen die Kunden beim Gang durch die Regalreihen sowie bei der Produktsuche und -beratung, quasi als neue 4.0-Verkäufer und -Servicekräfte. Zukünftig will Saturn fünf verschiedene Roboter-Typen einsetzen, berichtete Wild. Geplant seien auch die komplette Digitalisierung aller Produkte im Shop und die 4.0-Warenauslieferung mit eigenen, autonom fahrenden Mini-Fahrzeugen in Städten.

Eher emotionalere Welten beschrieb der Handelsspezialist, Innovationsexperte und Coach Frank Rehme, der einen elementaren und deutlichen Sinneswandel bei den Konsumenten diagnostiziert und diesbezüglich nun auch einen „Sinneshandel“ im Handel fordert.   

Abschließende Beiträge des SG-Kongresses kamen von Elena Bergmann, POSpulse, die eine exklusive SG-Studie zum Thema „E-Commerce als Impulsgeber. Chancen und Risiken für Online-Promotions“ präsentierte, und von Stephan Theissen, Stephan Länge und Katrin Bundesmann (real.- SB-Warenhaus) zum Thema „Shopper Insights – kundenorientierte Category-Gestaltung“. Abschließend beschrieb der renommierte Wiener Dramaturgie-Experte und weltweit anerkannte Shop-Psychologe Dr. Christian Mikunda in einem mitreißenden Vortrag, „wie man den Kunden dazu bringt, sich am POS in eine süße Ware zu verlieben.“                           

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