Labormilch unter der Lupe: Sinnvoller Ersatz oder verfrühte Euphorie?

03.07.2023 - Deutschland

Fleisch aus der Petrischale oder Insekten aus der Chipstüte: Auf der Suche nach
neuen Möglichkeiten zur Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölkerung experimentieren Forscher
seit Jahren an Alternativen zur herkömmlichen Lebensmittelproduktion.

Auch der Klimawandel rückt eine nachhaltige Ernährung zunehmend in den Fokus: Dürren verursachen
bereits jetzt Ernteausfälle, die Nutztierhaltung trägt nicht unerheblich zu den
Treibhausgasemissionen bei. Einige Unternehmen arbeiten inzwischen daran, Milch und Milchprodukte im
Labor herzustellen. Im Interview erläutert Molkereiingenieur Frank Feuerriegel den Vorgang, der
Präzisionsfermentation genannt wird, und ob und wenn ja, welche Zukunft Labormilch haben wird.

Wie wird die sogenannte Labormilch hergestellt?

Das Verfahren nennt sich Präzisionsfermentation. Eine gentechnische Weiterentwicklung der
Fermentation, bei der Mikroorganismen organische Stoffe umwandeln.

Bei der Präzisionsfermentation werden diese Mikroorganismen genetisch verändert. Dadurch können sie
beliebige komplexe organische Moleküle erzeugen. Bei dem Verfahren für Milch wird spezifisch die
Genschere Crispr-Cas verwendet. Bei diesem Vorgang wird das Enzym Cas9 mit einer bestimmten
RNA-Sequenz an das Zielgenom herangebracht, wodurch der DNA-Doppelstrang im Ursprungsorganismus
aufgetrennt wird. An dieser aufgetrennten Stelle kann dann eine andere DNA eingesetzt werden.

Das klingt ziemlich kompliziert....

Jetzt wird es einfacher: Für die Labormilch werden über das beschriebene Verfahren Gensequenzen von
Kühen in Hefezellen eingebaut. Diese Sequenzen sind für die Produktion der Proteine in der Milch
verantwortlich.

Die gentechnisch veränderten Hefezellen können im Rahmen ihrer neu gewonnenen
Stoffwechseleigenschaften durch Gärung Milchproteine wie u. a. Caseine und Molkenproteine
herstellen. Diese durch Hefen gebildeten Milchproteine werden mit weiteren Inhaltsstoffen wie
Wasser, Zucker, Fette, Vitamine oder Mineralstoffe gemischt und zu Ersatz-Milch bzw.
Ersatz-Milchprodukten verarbeitet.

Labormilch wäre damit ein gentechnisch verändertes Produkt, oder?

Ja, innerhalb der EU fallen die neuen Züchtungsverfahren wie die Genschere Crispr-Cas unter das
Gentechnikrecht.

Wie schätzen Sie die Zukunft der Labormilch ein?

Vorerst als unsicher, da noch keine wissenschaftlichen Daten vorliegen. Wir wissen zum Beispiel
nicht, ob der Körper Nährstoffe aus Labormilch genauso gut aufnehmen kann wie die aus der Kuhmilch.
Dazu gibt es noch keine Berechnungen, ebenso wie der Energie- und Ressourcenverbrauch im Vergleich
zu Produkten aus tierischer Erzeugung abschneidet. Ist Labormilch wirklich nachhaltiger? Welche
Auswirkungen hat eine industrielle Labormilchproduktion auf die Umwelt?

Es kursiert die Zahl von 80 Prozent Kostenreduzierung gegenüber der klassischen
milchwirtschaftlichen Erzeugung und Verarbeitung, aber bisher haben viele Unternehmen noch das
Problem, die Labor-Produktion überhaupt auf ein kommerziell effektives Level hochzufahren.
Grundsätzlich ist noch offen, ob Labormilch bzw. gentechnisch gewonnene Milchprodukte von den
Verbrauchern angenommen werden würden. Vorausgesetzt, diese Produkte würden in der EU überhaupt eine
Zulassung erhalten - auch das ist noch ungewiss.

In Amerika und Indien haben sie diese bereits....

Ja, in beiden Ländern sind erste Produkte auf dem Markt. In den USA begann es 2016 mit einer
Variante von Speiseeis. Seit 2019 ist die Zahl der Start-ups in diesem Bereich stark gestiegen, auch
in Deutschland. Lebensmittelkonzerne investieren hier ebenfalls schon. Prinzipiell halte ich es für
gut, dass das Crispr-Cas-Verfahren weiter erforscht wird, weil es Chancen für die Landwirtschaft und
den Nutztiersektor birgt, effizientere Verfahren zur Lebensmittelproduktion zu entwickeln. Was sich
davon wie am Ende durchsetzt, ist jetzt noch nicht abzusehen.

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