Was Phở und Lebkuchen verbindet

26.08.2025
Ha Tekken, 2025

Typische Strassenküche in Hanoi: Schüsseln mit heissem phở, dazu knusprige Teigstangen, Limetten, frische Kräuter und verschiedene Saucen. Gewürze wie Cassia-Zimt, Sternanis und schwarzer Kardamom prägen den einzigartigen Geschmack der Reisnudelsuppe, die heute als kulinarisches Symbol Vietnams gilt.

Zimt, Sternanis und Kardamom – dieser aromatische Dreiklang verleiht der vietnamesischen Nudelsuppe «Phở» ihren charakteristischen Geschmack. Die neue Ausstellung «Symphởnie der Gewürze» im Völkerkundemuseum der Universität Zürich spürt den komplexen historischen und aktuellen Verflechtungen dieser Gewürze nach – vom lokalen Anbau bis zum globalen Absatz.

Kathrin Leuenberger, 2025

Cassia-Zimtstangen mit Werkzeugen: Mit einem sichelförmigen Messer wird die Rinde der Zimtbäume ringförmig eingeritzt. Mit selbstgefertigten Stäben wird die Zimtrinde gelockert und die Länge der einzelnen Zimtstangen vorgegeben. Das Messer dient zum Schneiden kleiner Äste und der Rinde. Bevor die Zimtstangen in der Sonne getrocknet werden, wird die äussere Rinde mit einem Schäler entfernt.

Die Geschichte des Zimtdöschens in unserem Küchenschrank reicht weit zurück: Gewürze galten als die ersten globalen Handelswaren und befeuerten die europäischen Kolonialbestrebungen. Heute sind sie erschwingliche Konsumgüter, die weltweit in Supermärkten zu finden sind. In der neuen Ausstellung «Symphởnie der Gewürze» des Völkerkundemuseums der Universität Zürich begeben sich Besucher:innen auf die Spuren von Sternanis, Zimt und Kardamom aus Nordvietnam. Sie lernen die zentralen Stationen des komplexen globalen Gewürzhandels in Vergangenheit und Gegenwart kennen.

Vom Hochland in die Weltmärkte

Zimt, Sternanis und Kardamom wachsen vor allem im gebirgigen Norden Vietnams, wo ethnische Minderheiten wie die «Hmong», «Nùng», «Tày» und «Yao» vom Anbau dieser Gewürze leben. Die vietnamesische Regierung fördert ihre Kultivierung gezielt, um die wirtschaftliche Entwicklung dieser Regionen voranzutreiben und Armut zu bekämpfen. Bei der Vermarktung wird zudem die ethnische Zugehörigkeit der Produzenten betont, um die Gewürze als authentische Regionalprodukte attraktiver zu machen. Die wichtigsten Abnehmer vietnamesischer Gewürze sind heute die USA und China, Europa holt jedoch zunehmend auf.

Die Ausstellung veranschaulicht anhand von Filmen und Objekten die lokale Landwirtschaft: Wie sehen Zimt, Sternanis und Kardamom aus? Welche Werkzeuge nutzen die Landwirt:innen? Welche Herausforderungen meistern sie? Auch die ökologischen Auswirkungen des Gewürzeanbaus werden thematisiert. So kann dieser zwar zur Wiederaufforstung beitragen – etwa indem Bäume für den Zimtanbau kultiviert werden, deren Rinde später das Gewürz liefert. Gleichzeitig führen die grossflächigen Monokulturen zu Bodenerosion und zum Verlust von Biodiversität.

Unbestrittenes Nationalgericht

In der vietnamesischen Küche spielen Gewürze eine entscheidende Rolle. Zimt, Sternanis und Kardamom sind bei der Zubereitung der traditionellen Nudelsuppe «Phở» zentral: Erst werden die Gewürze angeröstet, um danach stundenlang mit Rinderknochen zu köcheln – so entfaltet sich das Aroma. Vor dem Servieren werden Reisnudeln und frische Kräuter beigefügt. Ein nachgebildeter Phở-Imbissstand in der Ausstellung vermittelt einen Eindruck der Allgegenwart der Nudelsuppe, die zu jeder Tageszeit gegessen wird und als unbestrittenes Nationalgericht gilt.

In Europa fanden die importierten Gewürze ebenfalls Eingang in viele «traditionelle» Rezepte. Aus Weihnachtsgebäck wie Lebkuchen, Zimtsternen oder Brunsli sind sie nicht wegzudenken. Bei Glühweinrezepten spielen Zimt und Sternanis die Hauptrolle – wie bei der Phở. Liköre erhalten ihre herbe Würze ebenfalls oft von Sternanis. Auch viele Kosmetika und Raumdüfte bedienen sich des Repertoires der «exotischen» Zutaten.

Riechen, Schmecken und Erinnern

Das Aroma einer Phở oder der Geruch von Gebäck weckt bei den Menschen, die damit aufgewachsen sind, unwillkürlich Erinnerungen und Emotionen. Auch diese sinnliche Dimension greift die Ausstellung auf: In einem Film berichten Angehörige der vietnamesischen Diaspora in der Schweiz vom Stellenwert des Kochens und Essens in ihrem Alltag und davon, welche Gefühle die Düfte traditioneller Gerichte in ihnen auslösen. Auch Besucher:innen mit Schweizer Sozialisierung werden auf sinnliche Weise angesprochen – etwa durch die Riechproben der Duftstation.

Medizinisches Potential

Interessierte erfahren auch, dass viele Gewürze über gesundheitsfördernde Eigenschaften verfügen. Sie werden sowohl in der traditionellen vietnamesischen Medizin, «đông y» oder «östliche Medizin» genannt, als auch in der westlichen Schulmedizin verwendet. Zimt wird in der vietnamesischen Medizin zur Stabilisierung des Blutzuckers, Kardamom bei Magenentzündungen und Sternanisöl bei Erkältungen eingesetzt. Auch das Medikament Tamiflu, das in den 2000-er Jahren bei der Schweine- und später der Vogelgrippe verabreicht wurde, enthielt Sternanis. Inzwischen beinhaltet das Grippemedikament einen synthetisierten Wirkstoff.

Die Ausstellung beruht auf einer kollaborativen Langzeitforschung von Annuska Derks, Professorin für Ethnologie an der Universität Zürich und bis Ende Juli 2025 Direktorin ad interim des Völkerkundemuseums UZH, sowie Prof. Dr. Sarah Turner von der kanadischen McGill University. Beteiligt war zudem Prof. Derks Doktorandin Nguyễn Hà Phương und die vietnamesische Forscherin Ngô Thúy Hạnh. An der Realisierung der Ausstellung mitgearbeitet haben Studierende im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Frühlingssemester 2025.

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