Hähnchen, Milch und Schokolade: Putin schlägt im Handelskrieg zurück

08.08.2014 - Deutschland

Holländische Tomaten, griechische Erdbeeren oder deutsche Hähnchen: Der russische Einfuhrstopp für westliche Lebensmittel und Agrarprodukte vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise trifft Europas Bauern und Fleischproduzenten. Exportriese Deutschland dürfte eher glimpflich davonkommen - doch der immer heftigere Handelskrieg zwischen Moskau und der EU verschärft ohnehin wachsende Konjunktursorgen.

Warum greift Russlands Präsident Wladimir Putin zu diesen drastischen Mitteln?

Es ist Putins Retourkutsche auf die westliche Sanktionen. Um Moskau zum Einlenken in der Ukraine-Krise zu zwingen, hatte die EU in der vergangenen Woche erstmals harte Strafmaßnahmen bei Rüstungsgeschäften, Energie und Finanzen beschlossen.

Welche westlichen Produkte sind vom Einfuhrstopp betroffen?

Regierungschef Dmitri Medwedew präsentierte am Donnerstag in Moskau die mit Spannung erwartete Boykottliste. Die 28 EU-Staaten, die USA, Australien, Kanada und Norwegen dürfen ab sofort kein Fleisch, keine Milchprodukte mehr einführen. Das Verbot gilt für ein Jahr und betrifft auch Obst, Gemüse und Fisch. Schweinefleisch aus Europa stand aber schon seit Ende Januar auf dem Index.

Trifft Putins Bann auch deutsche Markenhersteller?

Ja. Sprudel, Schokolade, Joghurt oder Fertigprodukte "Made in Germany" werden ebenfalls aus russischen Supermarkt-Regalen genommen.

Wie wichtig ist der russische Markt für die deutsche Agrarindustrie?

Dreiviertel aller deutschen Agrarexporte gehen in die Europäische Union (EU). Russland ist dabei neben der Schweiz und den USA eines der wichtigsten Ausfuhrländer außerhalb der EU - jedoch mit fallender Tendenz. 2013 wurden Agrargüter für rund 1,6 Milliarden Euro dorthin verkauft - rund 14 Prozent weniger als noch 2012.

Was wird nach Russland geliefert?

Gefragt sind Schweinefleisch, Backwaren, Käse und Kakaoprodukte. Schon länger bestehende Einfuhrverbote haben aber tiefe Spuren in der Bilanz hinterlassen. So brach der deutsche Schweinefleisch-Export in den ersten fünf Monaten 2014 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 83 000 Tonnen auf 9000 Tonnen ein, bei Käse halbierte sich die Ausfuhr, so der Bauernverband.

Was passiert mit Fleisch, Gemüse und Milch aus Europa nach dem russischen Einfuhrstopp?

Allein griechische Bauern fürchten, auf Erdbeeren, Pfirsichen und Gemüse im Warenwert von 600 Millionen Euro sitzenzubleiben - und fordern Entschädigung aus EU-Töpfen. Auch die Niederlande, Belgien und Frankreich liefern viel Obst und Gemüse nach Russland, das nun auf den europäischen Markt drängt und den Preis drücken könnte, glaubt der Rheinische Bauernverband. Abzuwarten bleibt, ob der Lebensmittel-Einzelhandel das beim Endpreis an die Verbraucher weitergeben würde.

Schneidet sich Russland nicht ins eigene Fleisch?

Moskau wird auf andere Lieferländer ausweichen, etwa mehr Rindfleisch und Geflügel in Lateinamerika einkaufen. Auch dürfte der Kreml auf den Nebeneffekt setzen, die eigene, oft ineffiziente Agrarwirtschaft auf Vordermann zu bringen. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) hat da seine Zweifel: "Das schafft man nicht mit einem Fingerschnippen." Jens Nagel vom Exportverband BGA meint, die russischen Verbraucher werden die Leidtragenden sein: "Sie werden die Zeche in Form höherer Preise, schlechterer Qualität und geringerer Vielfalt bezahlen müssen." Teure westliche Lebensmittel konnten sich Normalverdiener aber sowieso kaum leisten.

Gefährdet die Sanktionsspirale den Aufschwung?

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hält daran fest, dass die deutsche Wirtschaft trotz der Krisen in der Ukraine und Nahost 2014 um 1,8 Prozent zulegen kann. Viele Ökonomen erwarten aber einen Dämpfer. Russland ist ein lukrativer Markt, der an den Gesamtexporten von über einer Billion Euro aber nur einen Anteil von 3,3 Prozent hat. Wegen der Ukraine-Krise büßten deutsche Unternehmen von Januar bis Mai in Russland rund 2,2 Milliarden Euro Umsatz ein.

Wie können sich Unternehmen schützen?

Zum Werkzeugkasten der Bundesregierung gehören die seit Jahrzehnten erprobten "Hermes-Bürgschaften". Das sind staatliche Versicherungen für Exporte der Wirtschaft ins Ausland. Firmen nutzen gegen Gebühr das Angebot, um in politisch oder wirtschaftlich unsicheren Ländern Geschäfte zu machen. Zahlt der ausländische Abnehmer nicht, springt der Staat ein. Jährlich stellt der Bund dafür Garantien von etwa 29 Milliarden Euro zur Verfügung. 2013 ließen Firmen sich Geschäfte in Russland über rund 2,4 Milliarden absichern./tb/DP/stk (dpa)

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