Die Bio-Bremse - Warum stagniert der Ökolandbau?

27.08.2015 - Deutschland

Der Hof ist Jahrzehnte alt, neu ist das Bio: Landwirt Wilhelm Schulte-Remmert hat "umgestellt" - und ist glücklich mit der Entscheidung. "Die letzten Jahre war's immer mehr ein Laufen im Hamsterrad", erinnert sich der 51-Jährige aus dem westfälischen Lippstadt. 400 Schweine und 31 Hektar Fläche, das war nicht zukunftsfähig. Also die Viehzahl verdoppeln und für teures Geld Fläche zupachten?

Familie Schulte-Remmert wollte lieber in ihre Unabhängigkeit investieren und baute für 1,3 Millionen Euro einen neuen Schweinestall mit Stroh auf dem Boden und Auslauf im Freien. Heute gibt es auf dem "Biohof LebensWert" 150 Tiere, das Fleisch geht an Abnehmer aus der Region - ein Musterbeispiel. Aber längst nicht überall nimmt die Öko-Landwirtschaft so eine glückliche Entwicklung wie Schulte-Remmerts Bauernhof. Die Branche wächst nur noch langsam.

Von 2013 auf 2014 kamen unterm Strich 127 neue Betriebe und knapp 2700 Hektar Fläche dazu, das ist nicht viel. Kurzzeitig hatte es sogar so ausgesehen, als wäre die Bio-Fläche erstmals wieder kleiner geworden - bis ein Fehler in der Statistik für 2013 entdeckt wurde, was den Aufwärtstrend rettete.

Den Erwartungen hinkt der Ökolandbau dennoch gewaltig hinterher: Ziel der Bundesregierung ist, dass eines Tages ein Fünftel der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden. Heute sind es gerade einmal 6,3 Prozent.

Für Gerald Wehde vom Bioland-Verband liegt der Grund dafür auf der Hand. "Unser Hauptproblem ist der Kampf um Fläche", sagt er.  "Dabei sind die Bio-Betriebe die klaren Verlierer." Unter den Konkurrenten sind ihm vor allem die Biogasanlagen ein Dorn im Auge, die bis zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2014 staatlich stark gefördert wurden. Das hat dazu geführt, dass heute auf 12,5 Prozent der deutschen Agrarfläche Energiepflanzen wie Mais wachsen.

Kommen in einer Region noch Betriebe mit intensiver Tierhaltung dazu, die viel Platz brauchen, um Futter anzubauen und Gülle auszubringen, treibt das die Pachtpreise schnell auf bis zu 1000 Euro pro Hektar. Der typische Bio-Betrieb kann laut Wehde 350 bis 500 Euro zahlen. Besonders angespannt sei die Lage im Westen Niedersachsens und im nördlichen Nordrhein-Westfalen, auch im Allgäu und Teilen Bayerns.

Der Ökolandbau stockt aus Wehdes Erfahrung denn auch nicht, weil Bio-Bauern aufgeben und doch wieder konventionell arbeiten wollen. Aber während in früheren Jahren die Anbaufläche größer und größer wurde, indem immer neue Betriebe dazukamen und die bestehenden expandierten, schrumpfen die Bio-Höfe seit 2007 tendenziell.

Der Spitzenverband der deutschen Bio-Branche, der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), blickt dennoch vorsichtig optimistisch in die Zukunft. Die ersten Meldungen aus den Ländern zur Entwicklung der Öko-Flächen im Jahr 2015 machten Hoffnung, dass das Wachstum doch wieder anziehe, sagt Sprecherin Joyce Moewius. Das hängt aus ihrer Sicht auch damit zusammen, dass Bio-Bauern erst seit 2014 bundesweit von allen Landesregierungen gefördert werden. Damit gebe es endlich mehr Planungssicherheit. "Die Landwirte brauchen das Gefühl, dass man sich auf die Förderung verlassen kann", sagt Moewius.

Denn die Umstellung auf Bio ist mit viel Aufwand verbunden - und für manche Betriebe auch mit gewaltigen Investitionen. Wer sich wie Bauer Schulte-Remmert für ökologische Schweinehaltung entscheidet, muss schnell sechs- bis siebenstellige Beträge in die Hand nehmen, weiß Bioland-Sprecher Wehde. Denn ein konventioneller Stall, in dem die Tiere auf Bodenspalten stehen, lässt sich nur durch erhebliche Umbauten umwandeln. Oder es muss gleich neu gebaut werden. 

Schulte-Remmert hat sich davon nicht abschrecken lassen, auch wenn die Angst auch heute noch da ist. Oder der Respekt, wie er sich schnell korrigiert. "Natürlich ist das ganz, ganz viel Geld", sagt er. "Und wir stehen ganz am Anfang einer Betriebsentwicklung." Gerade ist die dreijährige Umstellungsphase abgeschlossen, nach der das Fleisch ohne Einschränkung mit dem Bio-Siegel verkauft werden darf.

Bald sollen Eier und Kartoffeln dazukommen, ein Dorfladen mit den Produkten vom "Biohof LebensWert". In einer Hinsicht ist die Zukunft immerhin sicher: Sohn Sebastian (22) ist inzwischen ausgebildeter Öko-Landwirt - und wird den Hof eines Tages weiterführen./sem/DP/stk (dpa) 

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