Zu viel Wasser im Bier

18.04.2016 - Deutschland

Hopfen, Malz, Hefe und Wasser - gut ausgewogen machen allein diese vier Zutaten ein schmackhaftes Bier aus. Doch im Jubiläumsjahr der deutschen Bierbranche ist aus Sicht der Brauer eindeutig zu viel Wasser im Bier. Zwar machen die jüngsten Zahlen Mut: Der Absatz stieg 2015 leicht, es gab wieder mehr Brauereien und Beschäftigte, die Vielfalt ist größer denn je. Und nicht zuletzt die bevorstehende Fußball-Europameisterschaft lässt die Brauereien auf einen großen Schluck hoffen.

Zum 500. Geburtstag des Reinheitsgebotes von 1516 machen die Brauer ein Fass auf - auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird zum Festakt in Ingolstadt am 22. April erwartet. Aber der Branche droht ein mächtiger Kater. Denn nüchtern betrachtet kämpft sie gegen den Trend. 1976 tranken die Bundesbürger im Durchschnitt 151 Liter Bier, heute sind es noch 106 Liter - wieder ein Liter weniger als im Vorjahr. Jürgen-Michael Gottinger, Branchenexperte bei der Münchner Unternehmensberatung W&P, schaut auf die alternde Bevölkerung, die gesellschaftlichen Trends und rechnet mit einem weiteren deutlichen Rückgang bis 2025: "Eine Katastrophe für die deutschen Brauereien." 

Schon heute liefern sich die Braukonzerne einen erbitterten Preiskampf. Ihre Pilsbiere schmecken den meisten Biertrinkern, sind aber nur noch schwer zu unterscheiden - da greifen die meisten Käufer zum billigeren Angebot. "Heute wird jede vierte Flasche Bier über Aktionen verkauft", sagt Gottinger. Und dieser Anteil steige jedes Jahr um ein Prozent.

Eine Brauerei kann so zwar kurzfristig ihre vollen Lager leeren. Aber sie erobert keine Marktanteile, sondern schmälert vielmehr ihren Gewinn, weil auch die Stammkunden lieber auf die nächste Aktion warten. Und manchmal untergräbt es auch den Wert einer Marke.

"Gewinner ist der Verbraucher. Er bekommt sein Lieblingsbier billiger", sagt der Unternehmensberater.

Auch viele mittelständische Brauereien haben dem Preisdruck nicht standgehalten und mussten aufgeben, wie Lothar Ebbertz sagt, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Brauerbundes. Andere dagegen sind mit einer regionalen Ausrichtung und konsequenter Markenpflege erfolgreich - "authentisch, präsent vor Ort, mit tadelloser Qualität" können sie auch höhere Preise durchsetzen: "Sie werden als Spezialität wahrgenommen."

Gottinger nennt als Beispiele hierfür das Münchner Augustiner oder das Tegernseer. "Originelle regionale Marken sind im Trend."

Auch Flensburger ist so im hart umkämpften Pils-Markt erfolgreich unterwegs: Die Brauerei konnte ihren Absatz im vergangenen Jahr um 8 Prozent steigern. "Flens hat viel mit Emotion zu tun", sagte Geschäftsführer Andreas Tembrockhaus. Die Flasche mit dem Bügelverschluss, die norddeutsche Identität, aber auch der herbe Geschmack trügen dazu bei.

Dass die Zahl der Brauereien in Deutschland im vergangenen Jahr um weitere 31 auf 1388 stieg, liegt an neuen Gasthof- und Mikrobrauereien - sie produzieren keine 1000 Hektoliter im Jahr, machen aber inzwischen die Hälfte aller Brauereien aus. Beflügelt wurde die Entwicklung von Craft Beer, meist hopfenbetont-fruchtigen Sorten, die mit ganz neuen Aromen spielen und viele Biertrinker neugierig gemacht haben. Dafür sind Feinschmecker dann auch bereit, zwei Euro pro Flasche zu zahlen. Mit einem Marktanteil im Promillebereich spielen Craft-Biere aber bisher keine große Rolle.

Viel wichtiger ist ein anderer Trend: "Alkoholfreies Bier brummt wie der Teufel", sagt Ebbertz. Laut Deutschem Brauerbund wuchs der Marktanteil im vergangenen Jahr weiter kräftig auf 5,6 Prozent.

Brauereien bewerben ihre Alkoholfreien heute als Lifestyle-Getränke, kalorienarm, gesund, als isotonische Getränke für Sportler.

Denn die Deutschen achten mehr auf Gesundheit und Fitness - da hat es die Flasche Pils mit 430 Kilokalorien und fünf Prozent Alkohol schwerer. "Früher war jedes vierte Getränk ein Bier - heute ist Mineralwasser der Durstlöscher. Bier und Limo verlieren", sagt Gottinger.

"Wo früher ein Stammtisch war, ist heute ein Fitnessstudio. Die Freizeit wird anders verbracht. Auch im Chat Room gibt keiner eine Saalrunde aus", sagt Ebbertz. Am Arbeitsplatz wird ebenfalls volle Leistungsfähigkeit erwartet - ein Bier zum Mittagessen in der Kantine ist in den allermeisten Unternehmen längst passé. Da passt es ins Bild, dass die Stadt Berlin über ein Alkoholverbot diskutiert.

Weltweit wächst der Bierkonsum dagegen. China und Brasilien sind riesige Märkte und produzieren selbst weit mehr Bier als Deutschland.

Und im internationalen Geschäft dominieren Braugiganten wie AB-Inbev und SABMiller, die aktuell eine Megafusion im Wert von rund 100 Milliarden Euro festzurren, oder Heineken. Selbst die größten deutschen Braukonzerne wie Radeberger oder Oettinger sind im Vergleich nur Zwerge. Vor allem Belgier und Niederländer seien weltweit auf Einkaufstour gewesen, als sich die Deutschen auf ihren rasant wachsenden heimischen Markt konzentriert hätten, erklärt Ebbertz. Jetzt sei der Kuchen weitgehend verteilt./rol/DP/stk (dpa)

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