„Ohne Diversity kein Business“
Dr. Daniela Büchel über Diversität bei der REWE Group
Warum sollten sich Unternehmen gerade jetzt stark für Vielfalt und eine offene Gesellschaft machen? Und warum ist Diversity längst kein ein Nice-to-have mehr, sondern ein entscheidender Faktor für den Unternehmenserfolg?

Dr. Daniela Büchel, Mitglied des Vorstands – Human Resources und Nachhaltigkeit (Chief People and Sustainability Officer)
Rewe Group
Aktuelle Studien zeigen: Europäische Unternehmen mit diversen Führungsteams haben eine über 60 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, überdurchschnittlich profitabel zu sein. Je höher die Vielfalt in Führungsteams, desto besser schneiden die Unternehmen bei der Bewertung ihrer Unternehmensstrategie und bei den Indikatoren für die Gewinnung und Bindung von Talenten ab (vgl. McKinsey-Studie 2024). Was bedeutet das konkret und wie leben wir Vielfalt in der REWE Group? Dazu Daniela Büchel, Mitglied des Vorstands für die Bereiche HR und Nachhaltigkeit, im Interview.
In den USA gibt es derzeit Stimmen, die nach mehr männlicher Einflussnahme in der Wirtschaft verlangen und sich kritisch gegenüber Frauenquoten und Diversitätsinitiativen äußern. Viele Unternehmen fahren ihre Initiativen bereits zurück. Wie ist Ihr Blick auf diese Entwicklung?
Ich beobachte die Entwicklung mit Sorge und halte sie persönlich für gefährlich und rückwärtsgewandt. Zudem hat die Dynamik, die sich aktuell in den USA entwickelt, das Potenzial, auch auf andere Länder überzugreifen. Deshalb ist es wichtiger denn je, eine klare Haltung für Diversität und Gleichberechtigung zu zeigen und sich aktiv dafür einzusetzen. Unabhängig von der ethischen und moralischen Bedeutung ist Diversität ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Bei der REWE Group sind wir nicht trotz, sondern wegen unserer großen Diversität so erfolgreich. Daran glauben der Vorstand der REWE Group und hoffentlich auch unsere gesamte Belegschaft sehr fest.
Inwiefern profitieren wir bei der REWE Group von Vielfalt?
Wir sind in einem hart umkämpften Markt unterwegs und müssen eine vielfältige Kundschaft adressieren. Um deren Bedürfnisse wirklich zu verstehen und nah dran zu sein, brauchen wir Teams, die unterschiedlichste Erfahrungen und Perspektiven mitbringen. Das ermöglicht uns nicht nur, kreative und innovative Lösungen zu entwickeln, sondern hilft uns auch, flexibel auf Veränderungen zu reagieren – das ist heutzutage dringend notwendig. Hinzu kommt, dass wir in Zeiten von Arbeitskräftemangel und demografischem Wandel gar nicht darum herumkommen, Vielfalt als Chance zu sehen. Ohne die Arbeitskraft von Frauen, älteren Menschen oder Menschen mit Migrationsgeschichte könnten wir nur auf einen Bruchteil der verfügbaren Arbeitskräfte zurückgreifen. Um meinen Gedanken von eben nochmal aufzugreifen: Abgesehen davon, dass wir uns grundsätzlich fragen müssen, wie wir unser Miteinander als Gesellschaft gestalten möchten, sollten Unternehmen immer zusätzlich bedenken, welche wirtschaftliche Bedeutung allein die Förderung von Vielfalt hat. Zusammengefasst: Ohne Diversität kein Business.
Das klingt so, als passiert Diversität sowieso von alleine – warum braucht es dann überhaupt Maßnahmen für mehr Vielfalt und Chancengerechtigkeit?
Weil Diversität allein uns noch nicht weiterbringt. Auf die Inklusion der unterschiedlichen Mitarbeitenden kommt es an, wir brauchen eine Kultur, in der verschiedenartige Ansätze als Chance empfunden werden. Im Endeffekt brauchen wir alle eine Diversity-Kompetenz – also die Fähigkeit, die Unterschiede zwischen Menschen bewusst wahrzunehmen und sie in ihrer Vielfalt wertzuschätzen und zu unterstützen. Echte Vielfalt braucht außerdem ganz konkrete Rahmenbedingungen, die sie überhaupt ermöglichen – zum Beispiel hinsichtlich Vereinbarkeit.
Könnten Sie das noch etwas genauer erläutern?
Zwei Fragen sind für mich entscheidend. Die erste: Wie können wir unser Unternehmen zukunftssicher aufstellen? Das ist der wirtschaftliche Faktor, hier müssen wir alles tun, damit uns die demografische Entwicklung morgen nicht auf die Füße fällt und uns Kolleg:innen wegbrechen. Sprich: Top-qualifizierte Kolleg:innen in Führung bringen, Vereinbarkeit ermöglichen, Erwerbsmigration stärken, Quereinstiege fördern. Die zweite Frage: In welcher Welt möchten wir leben? Als Unternehmen sind wir Teil der Gesellschaft und tragen Verantwortung. Ich persönlich möchte in einer toleranten, inklusiven Welt leben, in der Unterschiedlichkeit geschätzt wird. Dafür wollen wir bei uns im Unternehmen stehen.
Wo stehen wir da aktuell?
Wir arbeiten seit vielen Jahren intensiv am Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf und haben im neuen Re-Zertifierungszyklus des Audits „berufundfamilie“ auch erstmals den Zusatz Vielfalt durchlaufen – als erster Lebensmittelhändler in Deutschland. Voraussetzung dafür ist, dass Programme zu Vielfalt und Inklusion festgelegt werden, um zu gewährleisten, dass alle die gleichen Chancen erhalten, unabhängig von Alter, Geschlecht, geschlechtlicher Identität, Herkunft, Religion/ Weltanschauung, ethnischer oder sozialer Herkunft, sexueller Orientierung oder Behinderung.
Was hat sich in anderen Bereichen getan?
Unser LGBTIQ+ -Netzwerk DITO repräsentiert mit inzwischen rund 500 Mitgliedern und diversen Ortsgruppen die LGBTIQ+ Community im Unternehmen. Außerdem sind wir seit Jahren Sponsor unterschiedlicher CSDs in Deutschland, Österreich oder Italien und setzen mit Regenbogenfahnen und -aufklebern an unseren Märkten und Reisebüros ein Zeichen für Vielfalt. Die Integration kulturell diverser Hintergründe treiben wir mit der aktiven Rekrutierung junger Geflüchteter für Praktikums- und Ausbildungsstellen im Rahmen der KIMAT-Initiative voran. Viele Kolleg:innen unterstützen im Rahmen der Projekte „Ehrensache“ oder „Joblinge“ als Mentor:innen sozial benachteiligte Jugendliche dabei, ein Praktikum, eine Ausbildung, einen Job zu finden. Übergreifend haben wir zuletzt das interne „Netzwerk Vielfalt“ ins Leben gerufen, um Diversity im Unternehmen über alle Geschäftsbereiche hinweg zu verankern.
Wir setzen uns zudem messbare Ziele – zum Beispiel, bis 2025 Geschlechterparität auf den Führungsebenen zu erreichen. Doch vor allem auf den obersten Führungsebenen sieht es noch dünn aus. Woran liegt dies?
In der Tat stehen wir auf den Leitungsebenen eins und zwei, also Vorstand und leitenden Angestellten mit insgesamt knapp 250 Kolleg:innen, bei einem Frauenanteil von unter 15 Prozent. Warum das so ist, darauf gibt es keine einfache Antwort. Wir versuchen, an mehreren Stellschrauben zu drehen – von Mentoringprogrammen wie Women’s Drive bis zu Netzwerken wie f.ernetzt. Über alle Führungsebenen hinweg sehen wir auch Erfolge und stehen dort bei einem Frauenanteil von 45,5 Prozent. Aber da wir unsere Führungspositionen auch auf Top-Ebene möglichst aus den eigenen Reihen besetzen möchten, geht es nicht so schnell wie wir es uns wünschen. Unsere Führungskräfte spielen hier eine ganz zentrale Position, auch hier setzen wir an.
Inwiefern?
Weil Gleichberechtigung insbesondere auch im Kopf derer beginnt, die Einfluss haben – darauf, wer eingestellt, ge- und befördert wird. Wir brauchen mehr Mentor:innen wie beispielsweise meinen Vorstandskollegen Peter Maly, dem es ein großes Anliegen ist, Frauen in der Geschäftsleitung wie auch auf den vertrieblichen Ebenen zu fördern. Mein Appell an alle Führungskräfte: Fördert weibliche Talente! Setzt euch für Frauen – auch Quereinsteigerinnen – ein, in denen ihr Potenzial seht. Ermutigt sie, stärkt ihnen den Rücken und findet gemeinsam Lösungen, wenn es zum Beispiel um flexible Arbeitsmodelle geht.
Scheitert die Gleichberechtigung hauptsächlich am Thema Vereinbarkeit?
Nicht nur, aber das ist schon ein großer Punkt, den wir gesamtgesellschaftlich lösen müssen. Fakt ist: Frauen übernehmen nach wie vor den Hauptteil der Care Arbeit. Übernimmt ein Mann die Kindererziehung, kommen häufig noch entsprechende Kommentare. Wir haben daher in den letzten Jahren viel unternommen, um die Vereinbarkeit zu fördern. Das ist in den Zentralen natürlich einfacher als in den Märkten. Wir bieten zum Beispiel Top-Positionen in Teilzeit und Job-Sharing an. Seit rund fünf Jahren ist auch die Marktleitung in Teilzeit möglich – damit sind wir der einzige Händler.
Wie gut wird diese Möglichkeit angenommen?
Auf Executive Ebene sind es bislang ausschließlich Frauen, die die Möglichkeit des Job-Sharings oder Teilzeit nutzen. Hier müssen wir noch mit Mythen und Schranken im Kopf aufräumen, damit dies auf allen Ebenen und auch von Männern stärker genutzt wird. Das Modell Marktchef in Teilzeit wird in den Regionen gut angenommen, in denen es mehr Sichtbarkeit und Best Practices gibt, wie beispielsweise in der REWE Süd.
Diversität geht ja weit über Frauenförderung hinaus. Was tun wir zum Beispiel, um Inklusion zu fördern?
Inklusion ist wichtig für uns und wir haben noch nicht das volle Potenzial des inklusiven Arbeitsmarktes ausgeschöpft. Ein Beispiel für erfolgreiche Inklusionsarbeit zeigt sich bei der REWE West, wo allein im vergangenen Jahr über 90 Menschen mit Behinderungen eingestellt wurden. REWE-Kaufmann David Hegemann aus Düsseldorf begleitet den ersten Azubi im Rollstuhl auf seinem Weg zum Kaufmann. Kaufmann Dietmar Tönnies aus Odenthal hat eine gehörlose Kollegin im Team – und so gibt es viele weitere positive Beispiele. Für mehr Inklusion setzen wir uns außerdem unter anderem seit 2017 mit einer strategischen Kooperation zwischen der REWE Group und der Aktion Mensch ein sowie mit einer Kooperation von toom und der Lebenshilfe. Und wir machen bei myAbility mit – hier bieten wir Masterstudierenden mit einer Behinderung oder chronischen Erkrankungen ein Coaching- und Trainingsprogramm an. Wir werden die Förderung eines inklusiven Arbeitsumfelds und Gesellschaft weiter vorantreiben.
Was haben Sie hinsichtlich Inklusion gelernt?
Unsere Erfahrung zeigt, dass es herausfordernd sein kann, nur eine Person mit Behinderung im Team zu haben. Aus dem Gedanken der Gemeinschaft und der gegenseitigen Unterstützung heraus ist es sinnvoller, mehrere Personen pro Team einzubinden. Deshalb legen zum Beispiel die Kolleg:innen von BILLA in Österreich ihren Fokus besonders auf größere Märkte. Wir haben aber auch gelernt, dass Barrieren im Kopf beginnen. Wenn die Kultur stimmt und sich Teams offen begegnen, lassen sich fast immer Lösungen finden.
Wo sind die größten Herausforderungen?
Es gibt einen unglaublichen Verwaltungsaufwand. Um die Märkte nicht zu sehr zu belasten, unterstützt hierbei in der REWE West Roderich Dörner, verantwortlich im HR-Bereich für das Thema Inklusion. Die Händler machen sehr positive Erfahrungen, menschlich, aber auch wirtschaftlich, denn sie bekommen finanzielle Unterstützung. Wir haben einen Workshop geplant, um zu schauen, wie wir das Konzept national ausrollen können. Es gibt schon eine Liste mit sehr vielen Kaufleuten, die mitmachen möchten. Auch die Kund:innen melden zurück, dass sie eine ganz tolle Atmosphäre im Markt erleben, wenn dort Inklusion gelebt wird. Wichtig ist, Menschen grundsätzlich da einzusetzen, wo ihre Stärken liegen. Eine stärkeorientierte Führung ist wichtiger Bestandteil unserer Führungsprogramme.
Wo sind beim Thema Vielfalt noch die größten To-dos?
Im IT-Bereich, der noch männerdominiert ist, ist es noch schwierig, genderdiverse Teams zu bilden und vor allem mehr Frauen in Führungspositionen zu haben. Der Bereich Vertrieb ist traditionell ebenfalls recht männlich, aber hier haben wir nun auch Beispiele von Vertriebschefinnen wie Elisabeth Promberger der REWE Süd.
Und es gibt Diversity-Dimensionen, die in Zukunft noch wichtiger werden, zum Beispiel Altersdiversität. 44 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind über 50 Jahre alt. Da berufsrelevantes Wissen in immer kürzeren Abständen veraltet, oft innerhalb weniger Jahre, ist es entscheidend, die Vorteile der generationsübergreifenden Vielfalt zu nutzen. Ich glaube, beim Thema Diversität ist wirklich der Weg das Ziel, und es ist total wichtig, dass wir ihn gemeinsam gehen.