Forscher lassen virtuelles Getreide im Computer wachsen
Forscher der Universität Hohenheim entwickeln ein Computermodell, das erstmals den Einfluss des Pflanzenwachstums auf das Klima berücksichtigen soll
Dabei macht es einen Unterschied, ob Winterweizen bereits im Frühjahr den Boden bedeckt oder Mais erst ab Mai. Entscheidend ist auch wie groß die Pflanzen sind und wie viele Stockwerke von Blättern den Boden vor der Sonne abschirmen.
Bisherige Klimamodelle simplifizieren den Einfluss der Vegetation
In gängigen Klimamodellen sind all diese Effekte nicht berücksichtigt. „Diese Modelle vereinfachen: Sie nehmen die Vegetation eines bestimmten Jahres und frieren diesen Zustand ein“, erklärt Prof. Dr. Thilo Streck, Biogeophysiker an der Universität Hohenheim und Leiter des Projektes. Ein Fehler, wie der Forscher und seine Arbeitsgruppe denken. Umgekehrt wird auch das Klima beeinflussen, was auf den Äckern angebaut wird: „Landwirte werden auf die sich ändernden Klimaverhältnisse reagieren, indem sie andere Pflanzen anbauen – all diese Wechselwirkungen werden in heutigen Computermodellen nicht berücksichtigt.“
Um einen weltweiten Temperaturanstieg zu berechnen, mag diese Näherung gut genug sein. Doch „was nützt mir ein großräumiger Durchschnittswert, wenn es in Teilen von Deutschland noch viel heißer wird, in anderen vielleicht sogar abkühlt“, urteilt Prof. Dr. Streck. „Wir wollen genauere Berechnungen für kleine Regionen, um uns wirklich auf den Klimawandel einstellen zu können.“
Virtuelle Pflanzen fügen sich in neuen Ansatz für Klimamodelle ein
Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich die Forscher um Prof. Dr. Streck mit Wissenschaftlern aus der Meteorologie, Agrarbiologie und Agrarökonomie der Universität Hohenheim zur Forschergruppe „Regionaler Klimawandel“ zusammengeschlossen. Das virtuelle Pflanzenwachstum in ihren Computern ist ein Baustein für eine neue Generation von Klimamodellen, die methodisch ausgereifter sind und Prognosen mit bislang unerreichter Genauigkeit errechnen.
Dafür entwickeln verschiedene Arbeitsgruppen verschiedene Komponenten.
- Wie Boden und Vegetation das Klima beeinflussen und welche Auswirkung das künftige Klima auf Boden und Vegetation hat ist Arbeitsschwerpunkt von Prof. Dr. Streck.
- Präzise Prognosen von Wolkenbildung, Niederschlag und Wärmeprozessen ist Ziel der Gruppe um Atmosphärenforscher Prof. Dr. Volker Wulfmeyer.
- Wie Landwirte auf den Klimawandel reagieren, welche Feldfrüchte sie wählen und wann sie sie ausbringen ist Schwerpunkt der Gruppe um den Agrarökonomen Prof. Dr. Thomas Berger.
- Wie künftige Temperaturen und die Zusammensetzung der Atmosphäre die Qualität von Agrarprodukten beeinflussen erforscht die Gruppe um den Agrarbiologen Prof. Dr. Andreas Fangmeier.
Rund drei Jahre lang haben die Gruppen an ihren jeweiligen Komponenten gefeilt. Aktuell sind sie dabei die Bausteine zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen.
Computermodell muss künftige Pflanzen wie Soja in Deutschland berücksichtigen
Der Weg zu den virtuellen Pflanzen war Fleißarbeit: Für die Entwicklung sammelten die Gruppen um Prof. Dr. Streck und Prof. Dr. Wulfmeyer seit 7 Jahren Messdaten von 6 speziellen Messstationen im Kraichgau und auf der Schwäbischen Alb. Auf ungezählten Feldern vermaß die Forschergruppe gemeinsam Pflanzen, erforschte Wasser- und Wärmeflüsse zwischen Boden, Pflanzen und Atmosphäre und fütterte den Computer mit Messdaten über die Bodenverhältnisse vor Ort.
Aktuell beherrscht ihr Computermodell bereits alle gängigen Hauptkulturen wie Weizen, Raps, Mais, Sommer- und Wintergerste. Jetzt soll es um einige Exoten erweitert werden.
„Wir rechnen damit, dass mit dem Klimawandel verstärkt neue Kulturen angebaut werden. Soja ist auf unseren Äckern bereits angekommen und die Sonnenblume erlebt ein Comeback – diese Pflanzen wollen wir jetzt auch in unser Modell integrieren“, erklärt Dr. Joachim Ingwersen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Streck.
Berechnungen laufen auf Supercomputer Hornet in Stuttgart
Zwei weitere Jahre veranschlagt Prof. Dr. Streck für den Feinschliff: „Die einzelnen Computermodelle zusammenzufügen ist Detailarbeit und erfordert viele Tests“, begründet sein Mitarbeiter Dr. Arne Poyda.
Und die sind aufwendig. Für die komplexen Berechnungen nutzen die Forscher den Supercomputer Hornet am High Performance Computing Center Stuttgart (HLRS) – immerhin Teil des größten und stärksten Supercomputing Netz Europas. Trotzdem können einzelne Testläufe Tage bis Wochen dauern.